So wie überall sonst überall auch, gibt auf der Straße immer wieder Menschen, die nicht grossartig auffallen. Sie sind nie laut, pöbeln und randalieren nicht, schliessen sich kaum länger als ein paar Tage irgendwelchen Gruppen an und gehen meist ihrer eigenen Wege. Hans ist einer von diesen Einzelgängern und während ich dies schreibe, frage ich mich, wieviele von Euch da draussen ihm wohl schonmal begegnet sind. Und dann fragt ihr Euch wahrscheinlich: "Wer war das nochmal? Hans? Hmmm, sagt mir jetzt eigentlich nicht viel."
Hans hatte vor 10 Jahren einen schweren Motorradunfall. Sein Freund ist dabei ums Leben gekommen, er selbst war ettliche Monate im Krankenhaus und hat davon eine schwere Gehbehinderung zurück behalten. Nach der Trennung von seiner Frau hat er alles verkauft und nie wieder ins normale Leben zurück gefunden. Vor 20 Jahren riet ihm sein Arzt, wenn ihm etwas an seinem Leben liegen würde, müsse er schnellst möglich mit dem Trinken aufhören. Diesem Rat ist er gefolgt und seither führt er ein abstinentes Leben.
Glücklich berichtet er von seinen Reisen nach Spanien, Marokko, Italien, Frankreich und Ghana. Trotz Behinderung, trotz starken Schmerzen. Denn in Deutschland, nein, da hält er es immer nur ein paar Monate aus. Da ist es ihm zu kalt. Menschlich und meterelogisch und überhaupt.
Jetzt auf dem Weg zu Fuß nach Marokko...allein. Mit seinem Rucksack, dem kleinen Messerchen, der Silberschüssel, dem Miniradio und seinem Hut.
Ich hoffe, es geht ihm gut.
Nachtrag, 27.Januar 2013
Als Hans mich damals Ende Semptember aus Frankreich kontaktierte und mir schilderte, wie schlecht es ihm ginge, habe ich angefangen mit Agnès (der Frau, die ihm wahrscheinlich das Leben gerettet und ihn bei sich aufgenommen hatte) Mails auszutauschen.
Sie erzählte mir, wie gut es ihm inzwischen gehen würde:
Unter anderem fand sie heraus, dass seine Schmerzen beim Gehen nicht vom Unfall herrühren, sondern verursacht wurden, durch die Doppelzyste. Ausserdem war seine "Krücke" völlig falsch
eingestellt.
Da er jedoch in Frankreich nicht weiter behandelt werden konnte und auch sonst keinerlei finanzielle Unterstützung bekommen würde, hatte Hans eingesehen, dass er sein Leben in Deutschland würde fortsetzen müssen; es hatten sich enorm viele Belastungen angehäuft, vor denen Hans sein Leben lang geflüchtet war. Diese wollte er unter allen Umständen in Angriff nehmen: Ärztliche Behandlung, Aufarbeitung seiner Vergangenheit, Arbeit, etc.pp.
So entschied er sich, am 18.November 2012 nach Deutschland zurück zu kommen um im Heimathof Simonshof zu leben. Ich hatte ettliche Male mit der Leitung des Heimes telefoniert, ihnen alle wichtigen Eckdaten über Hans mitgeteilt und war wirklich guter Dinge, dass Hans von dort aus einen guten Start in sein neues Leben haben würde. Ich war der festen Überzeugung, dass er gerade durch die schlimmen Erfahrungen in Frankreich, die ihn beinahe das Leben gekostet hätten, endlich realisiert hätte, dass es hier um sein Leben gehen würde. Und darum, dass es so nicht weiter gehen könnte.
In einer Nacht und Nebelaktion holte ich Hans dann spät nachmittags am Flughafen Hahn ab und fuhr ihn 300km weit zum Simonshof. Schon da hätte mir eigentlich auffallen müssen, dass alles anders laufen würde, als geplant. - Hans redete ununterbrochen nur von Agnès.... Wie sie ihm das Leben gerettet hätte, wie unendlich dankbar er ihr sei, wie sehr er sie lieben und vermissen würde, wie schlimm die Trennung wäre...
Und tatsächlich: Schon eine Woche nach seiner Ankunft am Simonshof erhielt ich den ersten Anruf: Hans wolle wieder weg. Nichts half. Kein Zureden, kein Erklären. Kein Erinnern.
Er benahm sich völlig irrational. Es war ihm vollkommen gleichgültig, dass der Winter vor der Tür stand und die Nächte kalt werden würden. Dass er noch immer nicht gesund wäre. Dass er sich auch immer noch im Frühjahr wieder auf den Weg machen könnte: Er wollte wieder weg. Weg, weg, weg um jeden Preis. Auch, dass sich absolut verantwortungslos sich selbst gegenüber verhalten würde, interessierte ihn in keinster Weise. Und auch, dass er Agnès keinen Gefallen damit tun würde, wenn nun alles von vorne los ginge: Er war wild entschlossen, seinen Rucksack zu packen und sich wieder auf den Weg zu machen. Er könne in Deutschland nicht leben, geschlossene Räume würden ihn wahnsinnig machen und überhaupt: Hier wäre alles schlecht. Hier könne er nicht leben. Es ginge nicht. Aus. Ende.
Seitdem ist er dann noch zweimal aufgetaucht und sofort wieder verschwunden: Einmal kam er kurz wieder zurück zum Simonshof und danach, kurz vor Weihnachten war er in Mainz in den Containern. - Als ich endlich Zeit fand, um dorthin zu fahren, war er schon wieder weg.
Die letzte Nachricht kam aus Paris. Er hatte Agnès eine Postkarte geschrieben. Ohne Inhalt, nur mit Namen und Poststempel vom 7. Januar 2013.
Heute, am 27. Januar war er bei Agnès, 113 km von Montpellier entfernt und wird nun den Jakobsweg fortsetzen. Sie schreibt, er wäre ok.